Für eine ressourcenschonende Ernährung, einen gesunden Boden und ein soziales Miteinander – dafür setzen sich die Ökonomische Gemeinnützige Gesellschaft Bern OGG ein. Sie initiiert und fördert entsprechende Projekte und baut Brücken zwischen Stadt und Land – und das seit 1759. Geschäftsführer Franz Hofer gibt Einblick in den ältesten Verein der Schweiz.
Die OGG Bern ist der älteste Verein in der Schweiz. Seit mehr als 260 Jahren setzt sie sich für die Entwicklung eines nachhaltigen Ernährungssystems ein. Was ist das Erfolgsrezept?
Franz Hofer: Die OGG Bern ist ihren Wurzeln treu geblieben und hat gleichzeitig immer wieder mutig und kreativ Lösungen gesucht für neue gesellschaftliche Herausforderungen. Dazu gehört auch, dass man immer wieder Bestehendes losgelassen und verselbständigt hat. Zentral ist, dass die OGG Bern immer eine werteorientierte Kultur gepflegt und gemeinnützig gehandelt hat.
Was sind die wichtigsten Meilensteine der OGG?
Das Hauptanliegen der Gründer war, die Produktivität der Landwirtschaft zu steigern, um Hungersnöte in der Region Bern zu reduzieren. Sie brachten die Kartoffel in die Gegend, förderten den Anbau von Klee für Viehfutter und die gezielte Nutzung von Mist und Gülle. Schnell war auch klar, dass Bildung eine entscheidende Rolle spielt. 1846 erschien erstmals das «Wochenblatt für Landwirtschaft und Gartenbau». Dieses hat sich zur Fachzeitung «Schweizer Bauer» entwickelt, der auflagenstärksten Agrarzeitung der Schweiz. 1860 hat die OGG Bern die Gründung einer staatlichen Landwirtschaftsschule auf der Rütti in Zollikofen angestossen. Bis 1994 spielte sie eine wichtige Rolle in der landwirtschaftlichen Berufsbildung im Kanton Bern und blieb darüber hinaus eine Schaltstelle für Erwachsenenbildung.
1998 lancierte die OGG Bern ein Angebot für Betreutes Wohnen in Familien. 2007 gründete sie die Anlaufstelle Überlastung Landwirtschaft und seit 2014 ist die Reduktion von Food Waste ein wichtiges Thema. 2017 holte sie Job Caddie nach Bern, ein kostenloses Mentoring für Jugendliche und junge Erwachsene mit Schwierigkeiten in der Lehre und beim Berufseinstieg, und seit 2021 betreibt sie auf der Rütti den Weltacker Bern, ein Bildungsangebot rund um nachhaltige Ernährung.
Die OGG Bern geht mit dem Wandel der Zeit und setzt Schwerpunkte in der Entwicklung eines nachhaltigen Ernährungssystems. Welche Bedeutung hat die OGG Bern in der heutigen Zeit?
Die OGG Bern initiiert und fördert Projekte mit dem Schwerpunkt Bildung für nachhaltige Ernährung. Dank ihr gibt es den Weltacker Bern, der bewusst macht, dass unser Konsum Ackerfläche nutzt und diese Fläche begrenzt ist. Sie ist auch Mehrheitsaktionärin der foodwaste.ch AG, die mit kreativen Mitteln zeigt, wie Lebensmittelverschwendung vermieden werden kann. Dank der OGG ist aus dem Verein eine Organisation mit wirkungsvollen Projekten geworden. Das nur als zwei Beispiele.
Wie sieht ein nachhaltiges Ernährungssystem aus und was tut die OGG Bern dafür?
Die Basis für ein nachhaltiges Ernährungssystem bildet der Boden. Die Zusammenhänge rund um Ernährung sind sehr komplex. Über diese informieren wir und sensibilisieren Menschen über Wechselwirkungen zwischen Ernährung und Umwelt. Ein wichtiges Stichwort ist Suffizienz – also ein Konsum innerhalb der Grenzen der ökologischen Tragfähigkeit der Erde. Das betrifft nicht nur die Ernährung, sondern alle Konsumbereiche. Zudem müssen soziale und ökonomische Aspekte mitberücksichtigt werden. Beispielsweise sensibilisiert die OGG Bern mit den Angeboten des Weltackers Konsumentinnen und Konsumenten für eine nachhaltige Ernährung. Oder mit der Tagung «Boden unter Druck» vom 22. August wird Landwirten und Landwirtinnen an sechs praktischen Posten gezeigt, wie Bodenverdichtungen vermieden, festgestellt und kuriert werden können.
Sie lancieren auch Projekte für das Urban Gardening und gegen Food Waste. Wie sehen diese Projekte aus?
Ein von uns lanciertes Projekt sind die OGG-Gemüsetruhen. Das sind Hochbeete, die es Schulklassen und Quartiergruppen ermöglichen, ohne eigenen Boden Gemüse anzubauen und zu ernten. Wir sind überzeugt, dass durch die sinnlichen Erfahrungen die Wertschätzung für das tägliche Essen steigt. Wir lancieren jedoch nicht nur eigene Projekte, sondern unterstützen auch solche von anderen. So förderten wir massgeblich den Aufbau des Stiftsgarten, einer Gartenoase mitten in der Berner Altstadt und koordinieren das GartenNetzBern (www.gartennetzbern.ch).
Das neuste Projekt unsere Tochter foodwaste.ch gibt umfassende Information darüber, dass Lebensmittel über das Mindesthaltbarkeitsdatum hinaus geniessbar sind unter dem Titel «Länger geniessen ohne Risiko». Dazu wurden eine interaktive Ausstellung und die Website https://foodwaste.ch/haltbarkeit-lebensmittel entwickelt.
Wie beliebt ist Urban Gardening und was sind die Vorteile für eine nachhaltige Ernährung?
Mit den OGG-Gemüsetruhen haben wir fast 50 Standorte in Bern und anderen Ortschaften. Jedes Jahr interessieren sich neue Schulen und Gruppen dafür. Im Stiftsgarten arbeiten viele Freiwillige mit und in kurzer Zeit ist ein Förderverein mit aktuell fast 150 Mitgliedern entstanden. Eine nachhaltige Ernährung hat den Vorteil, dass sie gesund ist für die Menschen und die Erde. In den Industrieländern ist das Hauptproblem für die Gesundheit, dass wir zu viel und zu süss essen. Für den Planeten sind die Probleme regional sehr unterschiedlich. Teilweise werden Böden über-, oder unternutzt, und gehen so im Extremfall irreversibel verloren. Dass wir zu viel essen und zu viel Lebensmittel wegwerfen bedeutet, dass wir wertvolle Ressourcen verschwenden – das ist nicht nachhaltig.
Food Waste ist ein grosses Thema. Wo sehen Sie den Ursprung und wie kann man diesen gesellschaftlichen Missstand erfolgreich eindämmen?
Wir denken, Food Waste hängt damit zusammen, dass das Angebot an Lebensmitteln sehr gross ist und mehrheitlich auch das Geld vorhanden ist, um immer wieder neues Essen zu kaufen. foodwaste.ch hat den Slogan, «Aus Liebe zum Essen». Wenn wir Essen mehr wertschätzen, werden wir auch weniger wegwerfen. Wertschätzung und Freude sind auch beim Foodsave-Bankett auf dem Berner Bahnhofplatz zentral. Da sind wir seit Beginn dabei und die Idee wird über foodwaste.ch an andere Orte getragen. 2023 wird an 23 Orten ein Foodsave-Bankett durchgeführt!
Welches Verhältnis hat unsere Gesellschaft zur Ernährung?
Das Verhältnis zum Essen ist zum einen dadurch bestimmt, dass wir genug davon haben, und dass jederzeit fast alles erhältlich ist. Die Ausgaben für Nahrungsmittel sind innert zwei Generationen von rund 30 Prozent auf 6 Prozent gesunken. Zum anderen werden Zusammenhänge zwischen Ernährung und Umwelt zunehmend in der Gesellschaft diskutiert, die Themen sind salonfähig geworden. Manchmal habe ich jedoch fast den Eindruck, dass der persönliche Ernährungsstil zur Ersatzreligion geworden ist.
Im Verlaufe von rund 1000 Jahren hat sich durch das Wässern teilweise mehr als ein fruchtbarer Boden gebildet. Das Thema Wasser wird uns in Zukunft intensiver begleiten. Was sind hier die grossen Herausforderungen für ein nachhaltiges Ernährungssystem?
Hier spielt der Boden eine entscheidende Rolle. Wenn er eine gute Struktur hat, kann er sowohl mehr Wasser speichern als auch Niederschläge rascher aufnehmen. Entsprechend richten Trockenperioden und Starkregen weniger Schaden an. Mit dem Klimawandel nehmen die Herausforderungen noch weiter zu!
Wie können wir den Wasserhaushalt im Boden regulieren, auch bei immer wärmeren Temperaturen?
Die Basis ist ein Boden mit einer guten Struktur und damit einem guten Speichervermögen für Wasser hat. Ein wichtiges Thema ist auch die Bodenbedeckung. Ergänzend gibt es technische Massnahmen wie trockenheitsresistente Pflanzen züchten oder Tröpfchenbewässerung statt Beregnungsanlagen einsetzen.
Auch in diesem Herbst ist die OGG Bern mit einem Stand am Erntedankfest Sichlete dabei. Was sind weitere öffentliche Aktivitäten?
An der Sichlete vom 18. September werden wir mit dem «Weltacker-Lädeli» präsent sein, das wir für die BEA 2023 neu konzipiert haben. Es lässt auf spielerische Art und Weise erleben, dass unser Konsum Ackerfläche nutzt und diese begrenzt ist. Gespielt werden kann voraussichtlich auch am 9. September am Eröffnungsfest der Berner Nachhaltigkeitstage. Die OGG Bern unterstützt auch das Foodsave-Bankett auf dem Berner Bahnhofplatz am 22.September. Grosse öffentliche Aktivitäten sind jedoch eher die Ausnahme. Uns ist es wichtig, mit Projekten konkrete Wirkung an der Basis zu erzielen. Beispiele sind die Bildungsangebote auf dem Weltacker Bern, die Gemüsetruhen und die erfolgreiche Begleitung von Jugendlichen im Rahmen von Job Caddie und unserem neusten Angebot Schritt1.
Mit ihrem sozialen Engagement trägt die OGG Bern dem Motto «im Zentrum steht der gesunde Mensch» Rechnung. Was verstehen Sie darunter und was möchten Sie den Leuten damit vermitteln?
Was das Motto sagt: Im Zentrum steht, dass die Menschen gesund und zufrieden sind. Nur gesunde, zufriedene Menschen können sich für etwas engagieren.
Was sind die nächsten grossen Projekte der OGG Bern?
An neuen Ideen fehlt es uns bestimmt nicht! Die OGG Bern hat jedoch in den letzten Jahren viele neue Projekte angestossen. Aktuell sind wir daran, diese gut zu verankern und sinnvoll weiterzuentwickeln. Prioritäten zu setzen ist für ein günstiges Verhältnis von Kosten und Nutzen wichtig und stellt auch den dauerhaften Erfolg sicher. Beispielsweise haben wir beim Stiftsgarten die Mehrheit übernommen und wollen diesen zu einem Kompetenzzentrum für Urban Gardening weiterentwickeln.
Was wünschen Sie der OGG Bern für die nächsten Jahre?
Dass sie weiterhin ein gutes Gespür hat für Projekte, welche einen gesunden Boden, eine ressourcenschonende Ernährung und ein soziales Miteinander fördern. Dabei soll uns die wertebasierte Kultur nützlich sein, möglichst weise Entscheide zu fällen.
Interview: Corinne Remund